Der postmoderne Martial-Arts-Wahlkampf der Grünen

Am Ende gewinnt immer die FPÖ. Ja, das Bundespräsident-Strache-Video ist sicher ein weiterer Beleg dafür, dass die Nationalisten beim Stimmenfangen vieles richtig machen. Aber mal ehrlich: Beim Mannschaftssport zu gewinnen ist nur dann eine Herausforderung, wenn sich alle darauf einigen nach sinnvollen Regeln zu spielen. Man könnte auch verlässlich mit Tittenvideos Reichweite auf Facebook bekommen – nur lässt Facebook das nicht zu. Im Grunde beweist der erwartbare Erfolg der FPÖ bei der Wien-Wahl (neben zahlreichen Nebenursachen) also vor allem eine Schwäche der Spielregeln in der österreichischen Verfassung. Es ist nicht sinnvoll definiert innerhalb welches Spektrums das Spiel „Demokratie“ in diesem Land stattfinden soll und darf.

Die FPÖ wird also gewinne, weil sie ein anderes Spiel spielt. Damit ist der Wahlkampf der FPÖ für mich ausanalysiert. Wenn man das Politikspiel mag, dann muss man sich auf die Plätze dahinter konzentrieren um die spannenden Wettkämpfe zu erleben (wir konnten ja auch jahrelang die Tour de France schauen und dabei nur auf die Ergebnisse hinter Lance Armstrong achten). Wenn man in diesem Sinn den Wienwahlkampf betrachtet, dann ist viel spannender zu sehen, wie einmal mehr die Grünen kampagnisieren. Ihre Spielanlage ist deutlich komplizierter als die der FPÖ: Im hochverschuldeten Wien sind die Grünen in der Regierung. Sie haben mit NEOS Konkurrenz bekommen. Sie bedienen ohnehin schon ein überdurchschnittlich gebildetes Publikum, dem man unterstellen muss, dass es höhere Ansprüche an die Authentizität der Darbietung stellt. Evtl. erwartet das grüne Publikum sogar, dass auf schöne Worte auch gelegentlich Handlungen folgen.

Screen Shot 2015-09-16 at 15.50.50Seit Beginn der Flüchtlingskrise stößt in meinem Umfeld daher auf Erstaunen, wie affirmativ, oberflächlich und unter Auslassung von Kausalzusammenhängen die Grünen die Flüchtlingskrise (vor allem auf ihren Social Media Kanälen) nutzen.
-> Was die letzten Wochen passiert ist, nochmal in der Kurzzusammenfassung:

  • Screen Shot 2015-09-16 at 15.47.57Grundsätzlich gilt seit dem Eintreffen der Flüchtlingsströme : Die Grünen “umarmen” alle bemerkenswerten Aktivitäten anderer Organisationen (solange es nicht die Konkurrenz ist) auf eine Art und Weise, die jegliche Hilfe als eine Leistung der Grünen erscheinen lässt (gerne auch in der Grünen Wahlkampf-CI).

Die Grünen machen in Wahlkämpfen vieles richtig, doch überspannen sie hier den Bogen nicht? Ist nicht zu erwarten, dass sie dafür von ihren Wählern abgestraft werden?

Der Sache schaden sie damit bestimmt. Die Grünen werden schließlich von 10-15% der Bevölkerung gewählt, während die Willkommenskultur derzeit sicherlich weiter verbreitet ist als diese 15%. Die Flüchtlingshilfe braucht daher die Aufmerksamkeit der Grünen im Wahlkampfmodus nicht. Den Grünen aber nutzt die Aufmerksamkeit alle jener, die „für Flüchtlinge“ sind. Damit handeln die Grünen im klassisch bürgerlichen Werteverständnis reichlich unmoralisch. Sie nutzen die hohe Reputation aller die sich für Flüchtlinge engagieren und versuchen sich im Image-Transfer auf die eigenen Polit-Marke. Dafür haben sie auch Einzelfälle harscher Kritik einstecken müssen.

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Die Grünen werden wohl wieder leicht hinzugewinnen. Wie ist das erklärbar? Wichtiger als starre (positiv gesagt “verlässliche”) Ideologien (positiv gesagt “Ideale”) sind heute flexible Sinn- und Identifikationsagebote. Darauf sind die grünen Wahlkämpfe schon seit einigen Jahren konsequent ausgerichtet. Hier [Link] war schonmal kurz beschrieben, dass „Autorenschaft“ nicht mehr so wichtig ist wie früher. Es geht es nicht mehr um Handlungen, oder feststellbare Zusammenhänge, nicht mehr um politische Werbung die repräsentiert wofür eine Partei steht, sondern die ein Angebot schafft, dass dir (wankelmütigem postmodernen Typen) gerade entspricht. Das lässt sich theoretisch so erklären:
Die Abstraktion, die ein Wahlkampfes durch Vereinfachung mit sich bringt, gleicht bei den Grünen nicht mehr einer Karte oder einem Spiegel. Sie bildet nichts ab. Sie bezieht sich nicht auf einen referenziellen Sachverhalt (ein Wesen, ein Territorium, etc.), sondern generiert Reales ohne Ursprung (sog. Hyperreales) (vgl. Baudrillard 1978, S.7).

Normalerweise simulieren die Grünen auf diese Weise Tatsachen, die es in der Form nicht gibt (bspws. TTIP-Chlorhühner). Und in einem zweiten Schritt stilisieren sich selbst zu einem Identitätsangebot das uns vor diesen (als negativ empfundenen) Simulakren rettet. Während andere Parteien also darüber verhandeln, welche Inhalte sie kommunizieren, stehen die Grünen jeweils für das was ist, solange es nur exklusiv genug ist, damit sie es als Mittel zur Distinktion nutzen können. Und wenn des Das gerade nicht gibt, dann wird es geschaffen. Diese Fähigkeit ist wichtig, denn in einer komplexen, abstrakten, virtuellen Welt, indem die großen Links-Rechts-, Ost-West-Modelle nicht mehr existieren, ist fast jedes Bedürfnis mehr oder weniger simuliert.

Baudrillard beschreibt den Prozess von der Repräsentation (einer Zeit in der wir glaubten, dass ein bestimmtes Zeichen, oder ein Ideal, eine Realität abbildet), hin zu einer Gegenwart, in der Zeichen und Sprache (in unserem Fall die Botschaften eines Wahlkampfes) vor allem simulieren, in folgenden Schritten:

„Ausgangspunkt der Repräsentation ist ein Prinzip der Äquivalenz zwischen Zeichen und Realem […] Während die Repräsentation versucht, die Simulation aufzusaugen […] schließt die Simulation das gesamt Gebäude der Repräsentation als Simulakrum ein. Die Phasen, die das Bild dabei sukzessive durchläuft, sind folgende:
– es ist Reflex einer tieferliegenden Realität;
– es maskiert und denaturiert eine tieferliegende Realität;
– es maskiert eine Abwesenheit Einer tieferliegenden Realität;
– es verweist auf keine Realität: es ist sein eigenes Simulakrum.
Im ersten Fall ist das Bild eine gute Erscheinung – die Repräsentation gehört zur Ordnung des Sakraments. Im zweiten Fall ist es eine schlechte Erscheinung und gehört zur Ordnung des Verfluchens. Drittens spielt es, eine Erscheinung zu sein und gehört zur Ordnung der Zauberei. Im vierten Fall gehört es überhaupt nicht mehr zur Ordnung der Erscheinung, sondern zur Ordnung der Simulation.“ (Baudrllard 1978, S.14f.)

Das besondere an der derzeitigen Situation: Es passiert einmal etwas relevantes für den Grünen Wahlkampf. Etwas das als Ereignis wirklich existiert. Die Flüchtlingsströme bringen die grüne Kampagne nun in eine für sie ungewöhnliche Situation, in der es gar keine Gen-Tomaten mehr braucht. Das Problem ist aber, dass das Thema im Grunde nicht exklusiv grün ist (schließlich hat derzeit keiner außer die FPÖ wirklich etwas gegen Flüchtlinge). Die Grünen helfen sich, indem sie das Thema ausspielen, als sei es eine jener Simulationen, von denen die Menschen mittlerweile annehmen, dass sie exklusiv grün seien (bzw. dass es sich um “Wahrheiten” handle, die “nur die Grünen” ansprechen) -> die Grünen betreiben eine Art Überidentifikation.

Somit beweisen die Grünen, neben tiefem Verständnis für die Post-Moderne, auch hohes taktisches Vermögen. Fracois Jullien schrieb 1996 ein Buch über die Wirksamkeit. Darin vergleicht er ideengeschichtlich das europäische Modell der Wirksamkeit mit dem chinesischen, folgendermaßen: In Europa konstruiert man einen theoretischen Idealzustand und wenn man diesen in der Praxis möglichst abbilden kann, ist man „wirksam“ (Plan -> Umsetzung) (vgl. Jullien 1996, S.7 ff.). Laut Jullien stieß dieses Konzept im Krieg an seine Grenzen. Clausewitz nannte dies „Friktion“, also die Tatsache, das der wirkliche Krieg praktisch nie mit dem idealen Krieg ähnlich ist (vgl. S.23ff.).
In China dagegen ginge es immer nur um Wirksamkeit als Situationspotential. Der Mut bzw. die Feigheit der eigenen Soldaten waren demnach keine unkalkulierbare „Friktion“ (oder ebenso schwer erklärbare moralische Überlegenheit), sondern Resultat der Situation. Der Situation versuchte man in diesem Sinne ein „werden müssen“ aufzuzwingen (Logik des Ablaufs, statt Logik des Modellierens) (vgl. ebd. S.32 ff.).

Für ein solches Vorgehen muss man in einer politischen Partei erstmal den Rückhalt finden (bzw. durchsetzen). Um taktisch schnell zu sein, gilt es den Balast etwaiger “Inhalte” zu überwinden. Wirklich respektabel am grünen Wahlkampf ist daher nicht das Erscheinungsbild (klar, das passt, ist aber keine Rocket Science). Die wirkliche Leistung ist, dass sich die postmodernen Martial-Arts-Kämpfer mit ihren Konzepten eines praktisch virtuellen Wahlkampfes innerhalb einer pluralistischen Organisation durchsetzen konnten. Und, dass sie selbst in Ausahmefällen wie dieser Flüchtlingskrise ihren Ansatz ohne Zögern ausspielen (obwohl sicher auch bei vielen grünen Entscheidungsträgern zahlreiche Emotionen der kühlen Taktik im Weg stehen könnten).

Dass die Grünen 0% dazu beitragen, die FPÖ zurück zu drängen, muss auch ihren Wählern klar sein. Schließlich machen sie weder ein Angebot FPÖler abzuholen, noch suchen sie Bündnisse um die Nationalisten nieder zu ringen. Ganz im gegenteil: sie räumen der FPÖ eine profilscharfe komfortable “Gegenpositionierung” ein, die auch die FPÖ wird ausbauen können. Was die Grünen aber zur Perfektion anbieten, ist Identifikation für definierte Markt-/Wählersegmente in jeder Situation.
Das alles ist natürlich keine Erfindung der Grünen. Sie sind ein Europa bei weitem nicht die einzigen die so agieren und sie sind vielleicht nichtmal die erfolgreichsten. Es mag sogar sein, dass die Grünen trotz ihrer Wahlkämpfe bald das Ende des ihnen möglichen Wachstums erreichen. Aber wenn man ihre Ausgangssituation betrachtet, das Wählerpotential und ihre Anspruchsgruppe, dann gibt es kommunikativ wenig zu verbessern. Theoretisch könnte man den Grünen moralisch/politisch vorwerfen, dass sie ihren Gegnern ständig einen Mangel an Partizipation und Demokratie unterstellen, dabei aber selbst die Postdemokratie perfektionieren, doch wo will man derartige Debatten führen – im ORF sicherlich nicht.

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