Happykollektivismus der Generation Tomorrowland

Ich gehe nicht auf Festivals. Ich war nie auf dem Melt, dem Festival meiner Alterskohorte. Auch nicht auf dem Tomorrowland – der Spaßfabrik für alle die 5-10 Jahre jünger sind als ich. Vor dem Melt liegen die Jahre der Loveparade (zu dieser Alterskohorte ist im Grunde das meiste gesagt). Ich war nur einmal auf dem Frequency. 2010 als Eisverkäufer. Trotzdem möchte ich ein paar Vermutungen anstellen, über die Sinn-, Ziel- und Lebenskonzepte, die sich für die Alterskohorten die diese Spektakel besuchen so herrlich kompakt herauslesen lassen. Die heute ca. 14 bis 22- Jährigen Tomorrowlandlleute – also die Alterskohorte hinter mir – ist jetzt gerade lange genug auf der Welt um an ihr erste stabile Muster ablesen können. Diese Muster deuten an: Relativ sicher verläuft zwischen den heute ca. 14 bis 22-Jährigen und den heute 25 bis 35/40- Jährigen (der Alterskohorten Melt und Loveparade) eine Generationsgrenze (Generation Y vs. Gen-Z).

Die Generation Melt (und Loveparade) sind keine Digital Natives. Sie haben die neuen Tools entwickelt und sie sich erfolgreich angeeignet. Facebook, Instagram, Tumblr sind Lösungen die 25 bis 40-Jährige gefunden haben um ihre Kommunikations- und Sinnbedürfnisse zu bedienen. Aber sie hatten auch davor schon (eine offenbar defizitäre) Kommunikation. Die 14 bis 22-Jährigen sind in die Welt dieser Tools geworfen worden, so wie die Generation davor in die Welt der Fernsehens. Die Tools waren einfach immer da, man hat sie selbstverständlich genutzt und irgendwann selbst programmiert. Aber wofür sie eigentlich genau entwickelt wurden? Wer hinterfragt schon seine technische Umwelt nachdem sie selbstverständlich geworden ist?

Noch vor fünf Jahren haben viele aus unserer „Social-Media-Entwicklergeneration“ wohl angenommen, dass so etwas wie Social Media Agenturen eine Übergangsdienstleistung anbieten. Pages betreuen ist wirklich keine Rocket-Science, herum twittern auch nicht. Nur solange bis die Kommunikationsabteilungen der Konzerne verstanden haben, dass sie das selbst können – dachten wir. Oder solange bis die kommende Generation das selbstverständlich nebenher miterledigt, würde es „professionelle“ Agenturen brauchen. Derzeit zeichnet sich ab: Professionelle “Social Media” bleibt nicht nur als technische Dienstleistung, sie übernimmt nicht nur Marktanteile, sie übernimmt auch gleich die ganze Bäckerei (die klassische Kommunikation). Es ist nicht mehr nur etwas das im Internet passiert. Auch TV, Events oder Plakatwerbung werden bald nur noch in sozialer Logik sinnvoll Wirkung erzielen (die Persuasions- und Werbewirkungsforschung der Moderne war quasi asozial). Das sieht die Kohorte Melt, das sieht die Generation Tomorrowland aber nicht mehr, weil sie es nicht anders kennt – sie wundert sich einfach nur unverstädig über die TV-Werbeblöcke vor der Tagesschau.

Wer in den 80ern einen PC hatte, der konnte oft auch einigermaßen daran herum programmieren. Heute kann das kaum noch ein Nutzer. Genau so ist es um die Fähigkeitslage bei 18-Jährigen Instagram-Girls bestellt. Sie haben Followerzahlen die jene meiner Generation wie Dilettanten aussehen lässt, sie sind die ersten die die neuen Tools vollständig und zur Perfektion einsetzen. Aber sie haben eigentlich so wenig Ahnung davon was sie da eigentlich tun, so wie ich nicht verstehe warum MS-Word eigentlich funktioniert. Sie nutzen die perfekt funktionierenden, demokratisierten Tools und ihre Mechanismen, weil sie damit als soziale Selbstverständlichkeit aufgewachsen sind. Sie kritisieren keinen Datenmissbrauch, keine Gefährdung der Privatsphäre. Einem 16-Jährigen Teen zu erklären, dass es keine halbnackten Fotos ins Netz stellen solle – wegen Sexting, Jobaussichten etc. – wird sich in dessen Ohren wohl anhören, als ob man einem Mitglied der älteren Generationen erklärt man solle nicht halbnackt an den Strand gehen, wenn man nicht belästigt werden wolle.

Die Medienlogik hat die bürgerlichen Moralvorstellungen komplett überholt. Und die Medienlogik hat die Kommunikationslogik überrollt. Die Generation der Melt-Besucher hat noch Blogs entwickelt um eigene Kreativität durch Werkschaffen zur Schau zu stellen: “Seht her, ich kann Journalismus, ich kann Foto, ich kann Mode – gebt mir bitte Jobs und Sex dafür”. Das ganze wurde stärker beschleunigt und individualisiert durch Facebook, dann Twitter und Instagram, jetzt Snapchat. Und eh klar, dass mittlerweile wir alle enorm gestresst sind durch den Kreativitätszwang der durch uns selbst entwickelten Tools. Miriam Meckel nennt das “Burn Out”. “Im Dreißigjährigen Krieg waren die Leute auch rund um die Uhr für die Schweden erreichbar,” hält Manfred Lütz dem als Bonmot entgegen. Alles Übergangsprobleme. Die Generation Tomorrowland stresst das nicht mehr. Für sie fühlt es sich nicht mehr an wie ein Zwang zur vernetzten Kreativität. Es ist nicht wie Überstunden für die eigene Entwicklung zu leisten.

Die Generation Tomorrowland lässt sich von diesen „Meta-Zweifeln“ nicht irritieren. Sie rennt auf Festivals vor Fantasy-Bühnen in hippy-artigen Klamotten, halbnackt und mit Nationalflaggen herum. Das alles klingt für meine Generation schon als Aufzählung ästhetisch verheerend, ist aber überhaupt nicht vergleichbar, denn es folgt einer neuen Logik. Tomorrowland-Kids verkleidet sich nicht mehr – wie wir noch – für die große Party als Statement sexueller Orientierung, oder um sich individuell abzuheben. Sie wendet sich ganz selbstverständlich einem anderen Kollektivismus zu. Ihnen vorzuwerfen, dass sie unreflektiert Symbole und Signale für „sinnlosen Spaß“ verdrehen, wäre genauso falsch, wie es falsch war meiner Generation vorzuwerfen sie sei unpolitisch. Es hat sich schlicht sie Sinn- und Wertelogik gewandelt. Autorenschaft auf Tumblr ist für die Generation Tomorrowland kein Wert mehr – es gibt fast nur noch kuratorische Praxis. Sie produzieren nichtmehr um sich abzuheben, sondern nur noch wenn sich der ästhetische oder kreative Ausdruck nicht kuratieren lässt. Das könnte man, in einer Zeit des Contentüberflusses, auch einfach als ökonomisch bezeichnen.

„Vor kurzem war man von der Angst beherrscht, den anderen zu gleichen und sich in der Menge zu verlieren. Angst vor der Konformität, Besessenheit von der Differenz. Wir brauchen eine Lösung, die uns davor bewahrt, den anderen zu gleichen. Heute geht es darum, lediglich sich selbst zu gleichen (Baudrillard, Jean (1994): Das Andere Selbst. Passagen Verlag, Wien. S.32)

Generation Tomorrowland ist die echte, die wirkliche, Postmoderne. Alles davor war nur intellektueller Warm-up.