Neben Medienpolitik ist alles andere nur ein Wohlfühlthema | Part 2

Viel haben wir in den vergangenen Jahrzehnten über die Kontrollgesellschaft geklagt, über die „weiche Kontrolle“ der Selbstoptimierung, den Neoliberalismus, der allen Widerstand von vorneherein absorbiert. Was soll man denn noch sagen, um einen Unterschied zu machen? Was kann man denn noch tun, um etwas am „System“ zu ändern?

pldni

„Nur langsam begriff ich, dass jetzt die kühle Gleichgültigkeit einer Apparatur zu wirken begann, in deren technologischer Empfindsamkeit nichts mehr egal war, die sensibel auf alle Details, reagierte, Verfeinerungen erfasste und aufmerksam tolerierte, solange sie sichtbar blieben.“ (Hans-Christian Dany, 2013. S.12)

„Trifft einen der Blick der weichen Kontrolle, braucht man das nicht persönlich zu nehmen. Meist stellt jeder nur einen von vielen in den größeren Bewegungen dar, welche zu Wandlungen führen, die erfasst werden, um auf sie zu reagieren“ (Hans-Christian Dany, 2013. S.18)

So wie auf Tumblr zu beobachten ist, wie die Kids völlig ohne Geniebegriff und Autorenschaft auskommen, um ihre eigenen Persönlichkeit zu beschreiben. So wie sie dort Identität nur noch durch Kuratieren gestalten, indem sie Snippets, Memes und Fotos zusammen stellen, ganz so erhält es sich in der Kontrollgesellschaft auch mit der Arbeitswelt. Während wir, die Reste des ehemaligen bürgerlichen Mainstreams, uns vor der Entwertung der Bildungsabschlüsse fürchten, über den Verlust der klassischen Leistung (im Sinne von Output) als Kriterium für sozialen Aufstieg; während hoch gebildete und qualifizierte Arbeitskräfte keine umkämpfte Mangelware mehr sind; während die Führungsrollen nicht mehr durch die leistungsfähigsten, sondern durch die besten „Kuratoren“ besetzt werden. Während „kann mit den Leuten gut reden“, „hält ein Team zusammen“, „ist sozial kompetent“, kann „die Dinge in die richtige Richtung lenken“, die Kriterien der Kontrollgesellschaft geworden sind. Während es eh genug Leute gibt, die den Job erledigen (zumal es bei „Arbeit“ immer seltener um messbaren Outputs, sondern oft um schwer evaluierbare Dienstleistungen und kulturelle Kapital-Anhäufungen geht).
Während die Macht in anonyme Systemprozesse wandert, wächst die Hilflosigkeit und Entwertung bildungsbürgerlicher (oft linker) Identitäten und die ungerichtete Empörung der Wutbürger. Wir sind wütend auf die oberen 1%, aber im Grunde vergleichen wir uns mit dem Nachbarn der 200€ mehr Netto verdient (Brutto ist das ja ein reißen Unterschied und überhaupt – hat den schonmal jemand persönlich gesehen, diesen „oberen 1%“).

Wir, die wir uns entweder als „linksliberal“ definieren, bzw. vor einigen Jahrzehnten noch so definiert hätten, sind damit beschäftigt, die Reste von dem zusammen zu halten, was wir für Identität und Sinn halten. Wir warten darauf, dass es knallt. Aber es knallt nicht. Dass es nicht „knallt“, mag ein Indiz dafür sein, dass „das System“ nicht eine Hand voll Eliten sind. Wir sind das System! Wolfgang Schäuble, das ist der Typ, der nicht mächtig genug ist, dass Amazon und Google in seinem Land ordentliche Steuern zahlt. Nicht die Macht der Eliten, sondern deren ostentative Ohnmacht ist es, was unser „System“ wirklich ausmacht.

„Aus mitteleuropäischer Perspektive finden die neuen Revolutionen immer woanders statt. Die Aufständischen in der Ferne wollen Demokratie und ein Leben auf der Höhe der Zeit. Wir, die Beobachter, verstehen das, weil die Demokratie hier auch immer weniger wird. Erstaunlich viele bilden sich auf das Mehr an Demokratie aber immer noch viel ein. Sie nennen das Verbliebene Postdemokratie. Der Restposten des Glaubensartikels funktioniert wie süße Limo. Im gedämpften nachdemokratischen Licht werden Annehmlichkeiten aufgesaugt, ansonsten kleben alle sehr an sich selbst.

Seriendrucker schicken einem regelmäßig Briefe ins Haus. Ihre Anschreiben meinen einen nicht, obwohl der Name auf dem Umschlag steht. Sie fordern dazu auf, zur Wahl zu gehen. Am Stichtag wundere ich mich, wie viele Menschen das institutionelle Beige des Wahlbüros gegenüber meiner Wohnung betreten, um Kandidaten ihre Stimme zu geben, die behaupten, sie könnten sich keine politischen Entscheidungen mehr leisten. Die bekennenden Bankrotteure des Politischen zu wählen, käme mir vor, als würde ich nachts in ein geschlossenes Restaurant einbrechen, um auf den entlassenen Kellner zu warten.“ (Hans-Christian Dany, 2013. S.20f.)

Wir haben noch Wachstum, aber eben weniger industrielles, als soziales und kulturelles. Immer mehr Menschen partizipieren an strukturierter Hoch- und Popkultur. Gleichberechtigung, Selbstverwirklichung, etc. Das macht Sinn.

„Kauf dir ein Gerät, um dich kreativ zu verwirklichen. Das Ergebnis des verdrehten Konzepts der Massenkreativität sind meist Wiederholungen, deren Muster im Zeichenvorrat schon reichlich vorhanden sind und sich ständig, leicht verändert, reproduzieren. Nicht selten ist es einfach leerlaufender Sondermüll, der keinen Gedanken an die menschlichen Möglichkeiten verschwendet und allein dem Systemerhalt dient“ (Hans-Christian Dany, 2013. S.34)

Gut, das kann man derart wertend formulieren. Aber „echte“ von „falscher“ Emanzipation zu unterscheiden ist schwierig (ethisch, moralisch und politisch problematisch). Für „uns“ brave Hans-Christian Danys ist das alles ein riesen Problem. Aber für „das Volk“ – diese Leute, welche die linke Revolution ermächtigen wollte? Die haben sich heimlich still und leise ermächtigt.

Wie kann man noch oppositionell handeln? Wie schafft man es, den vorgezeichneten automatisierten Pfad des Kapitalismus zu verlassen? Die neue/alte Linke setzt ihre Hoffnungen auf „Beschleunigung“. Endlich nicht mehr „entschleunigen“ und immer diesen „bewussten Lebensstil“ vor sich her tragen, sondern sich aller Mittel bedienen, die der Kapitalismus nutzt, um die ständige Beschleunigung in eine andere Richtung zu lenken anstatt in der mantra-artigen Ablehnung der Beschleunigung ständig von ihr überrundet zu werden, hält Armen Avanessian für eine langfristige Perspektive. Und was haben wir dabei völlig übersehen? Da rechts zieht plötzlich die „ermächtigte“ Mehrheit an uns vorbei. Sie hat einen Gegenentwurf zum vorgezeichneten Weg des globalisierten Kapitalismus und dieser Gegenentwurf ist offensichtlich richtig scheiße. Da brauchen wir uns keine Gedanken mehr über Cyber-Punk zu machen. Die Wutbürger/Rechtpopulisten/Nationalisten nehmen einfach eine partizipativen Möglichkeiten der Vernetzung und sagen „Fuck your moral superiority“. Wir bekommen Angst, lassen uns durch unsere bürgerlichen Medien bestätigen, dass diese anderen Menschen außerhalb des Diskurses stehen. Klammern uns an unsere öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der längst nur noch die ohnehin bekennenden in scheinbarer Sicherheit wie­gt und akzeptieren, dass es kein außerhalb der alles absorbierenden Kontrollgesellschaft gibt und stecken den Kopf in den Sand.

Ich bin ja dafür radikaler zu stören. Wichtiger als die Überwindung Pensionssysteme, oder der konventionellen Landwirtschaft, sollten uns politische Positionen sein, die den medialen Status Quo überwinden.

Ein bisschen Quote für Österreichische Musik ist keine Medienpolitik, der Standort von Ö1 ist es auch nicht und die Debatte um Postenschacher im ORF ist noch weit weg von dem Niveau, das wir brauchen, wenn wir uns auch noch in Zukunft mit Demokratie eincremen wollen.

Fix ist nix, außer, dass wir mehr brauchen als das:

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Da können wir jetzt lange über Umweltschutz, Pensions- und Bildungsreform debattieren. Das wird dann aber alles in absehbarer Zeit von der Geschichte weggewischt, wenn wir uns nicht überlegen, was wir mit unseren medialen Sphären anstellen wollen.