Neben Medienpolitik ist alles andere nur ein Wohlfühlthema | Part 1

Demokratisierte Meinungsbildung, also die echte,
lebt vor allem die Rechte

Wir können ein bisschen an parlamentarischen Geschäftsordnungen herum feilschen, das Wahlrecht oder Untersuchungsausschüsse reformieren. Alles ein spannender Zeitvertreib, es ist aber auch Kinderfasching, verglichen mit Medienpolitik. Medien sind der Ort, an dem wir ausmachen, wie mir miteinander Leben – hat glaube ich mal jemand so oder so ähnlich gesagt. Das ist uns natürlich allen klar. Wenn wir über Politik reden, dann reden wir über Medien, denn für die griechische Agora sind wir ja schon seit einer ganzen Weile zu viele Wahlberechtigte. Auf welchem Niveau wir über Reformen der Sozial-, oder Bildungssysteme diskutieren, darüber hat die Medienpolitik unserer Vorgängergeneration entschieden. Und weil die ganze Sache so beeindruckend allumfassend ist, findet Medienpolitik, wie alle wichtigen Politikfelder, kaum statt. Das will sich einfach keiner antun. Wenn dich die Qualität unserer Diskussionskultur stört, wo willst du also die Debatte darüber führen?

cb7  [Quelle: Internet]

Klar, alles klar. Aber lustigerweise verschwenden wir kaum Gedanken darauf. Wer von uns hat schon wirklich eine Meinung zu Medienpolitik (außer, dass Qualitätsmedien toll sind, Boulevard irgendwie doof und Google irgendwie ein bisschen böse aber auch verdammt praktisch).
Wir wissen: Klassische bürgerliche Zeitungen und Nachrichtensendungen verlieren rasant an Relevanz und Einfluss für die politische Meinungsbildung. Und jetzt? Medien, das ist diese Ding, das sich im Prozess der Digitalisierung, Virtualisierung, Internationalisierung, Konvergenz befindet. Das Internet stellt Medialität auf den Kopf – das haben wir mitbekommen. Da gibt es heute nicht mehr den einen Nachrichtenonkel, der den Leuten am Abend in Erinnerung ruft, was sozial erwünscht ist und am Montag ist allen wieder klar wer die Guten und wer die Bösen sind. Wir befinden uns auf dem Weg der Demokratisierung. Die Menschen lassen sich nicht mehr nur berieseln, sie partizipieren und interagieren, die meisten davon auf Facebook. Wenn der Nachrichtenonkel am Abend erklärt, dass es den Flüchtlingen aus Bürgerkriegsgebieten schlecht geht und wenn sich zeitgleich die nationalistischen und rassistischen Wähler in Facebook-Kommentaren über das Verbrennen, Vergasen, Erschießen, oder zumindest „zurückschicken“ dieser Flüchtlinge Gedanken machen, dann bemerken wir mit Schrecken, welche Parteien in den Wahlumfragen zulegen. Der Nachrichtenonkel sitzt also offensichtlich nicht mehr am längeren Hebel.

Und – jetzt kommt der Schmerz – diese Facebook-Hass-Kommentatoren sind die realexistierende Demokratisierung unserer Meinungsbildung. Man kann darüber streiten, ob das “unsere” Vorstellung von Demokratie ist – aber es ist offensichtlich die Vorstellung der Demokratie von Demokratie. Es gibt keine „Mainstream“ TV-Sendung, die die Meinung dieser “Wutbürger”, “Fortschrittsverlierer”, “Trottel” – oder nennen wir sie einfach “Menschen” – unterstützt. Sie bilden sich ihre Meinung direkt im bürgerlichen Austausch. Im direkten Austausch, frei von parteipolitisch und durch wirtschaftliche Interessen verzerrten Massenmedien.
Das bedeutet natürlich nicht, dass die Virtualisierung und Digitalisierung alles schlechter gemacht hat. Es bedeutet nur, dass wir im ZDF nicht unseren Wertekanon aktualisieren und unsere Meinungsbildung organisieren können, während die Wähler auf unzensuriert.at herumgammeln.

Die Aufgabe der Medien ist „Einordnen“, „Vereinfachen“, „Erklären“, „Informieren“, etc. findet die Kommunikationswissenschaft. Naja, aber offensichtlich kann dann mit „Medien“ nicht mehr der ORF gemeint sein.

Lassen wir uns das bieten? Nein. Als Reaktion sehen wir den „Aufstand der Anständigen“. Die bürgerlichen Satiresendungen machen sich brav über Pegida lustig. Anja Reschke sagt in der Tagesschau ihre Meinung (Rassisten sind doof) und erntet den weltweiten Applaus der „Anständigen“. Spätestens wenn das ZDF (zufällig unmittelbar) eine Woche später sein Facebook-Snippet aus den Heute-Nachrichten „Claus Kleber ringt mit den Tränen“ nennt, sollten uns erste Zweifel kommen. Bespaßen wir Anständigen einander evtl. nur noch gegenseitig?

„Description: Ein ungewöhnlicher Willkommensgruß an Flüchtlinge rührt Claus Kleber im ZDF heute journal fast zu Tränen: “Ich reagiere manchmal auf positive Kleinigkeiten emotionaler als auf große Storys. Nicht sehr professionell. Aber okay?“ Tweet: http://ly.zdf.de/7vpI/“

Ach ja, by the way: Darüber wie Claus Kleber diese anständigen Emotionen um 10:28 und um 10:36 selbst einordnet und darüber welche Interaktionen er jeweils dafür bekommt, möge sich der geneigte LeserIn sein eigenes Bild machen:

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Wenn das die die Choreografie der „anständigen“ Empörung ist, wo verläuft dann genau die Linie zwischen „dem Aufstand der Anständigen“ und einem „schwindendes Milieu braver Bildungsbürger das sich selbst bestätigt, wie weit Pegida außerhalb ihrer Moralvorstellung liegt “? Es gibt keine! Wen erreichen wir mit unserer Empörung? Und wen erreichen wir nicht? Genau – die demokratisierte, partizipative Öffentlichkeit, denen die klassischen medialen Moralinstanzen zunehmend wurscht sind („Lügenpresse“). In Österreich werden diese Menschen durch die umfragenstärkste Partei vertreten – wir dürfen sie also bald “die Bürger” nennen und müssen uns abfällige Attribute (wie “Wut-” oder “Klein-“) sparen.

Darüber sollten wir uns evtl. ein bisschen mehr Sorgen machen als über Mietpreise, Sozialversicherungsbeiträge oder neoliberale Freihandelsabkommen.

-> Ich fahre jetzt nach Berlin (das macht man in meinem Alter so). In ein paar Tagen folgen dann mit Part II einige Zeilen dazu wie es soweit kommen konnte, warum Armin Wolf mal wieder ein bisschen doof war und Ryan Gosling kommt auch vor (!)

[Edit: Hier ist Part II]