Nach der Wahrheit wird alles besser

Berlin ist US Präsident. Wenigstens ästhetisch. Zumindest um ein oder zwei Ecken. Jedenfalls ist der Cambridge Analytica Whistleblower Zeuge eines unbestreitbaren kulturellen und modischen Einflusses Berlins auf die Trump-Kampagne. Christopher Wylie ist einer der wenigen Politik-News die es bis in die Techno-Szene geschafft haben und das völlig zurecht. Denn Botschafter eines echten Skandals ist er ja ohnehin nicht. Viel mehr als ein Verstoß gegen die Facebook “Community-Guidelines” lässt sich aus der Geschichte nicht machen (wenn man ehrlich wäre, aber wer will das schon sein).  Viel spannender ist die Frage: Wieso kamen die Cambridge-Typen mit ihrem simplen wie auch immer ge-micro-targeten Content aus zusammen geschusterten Blogs und Postings so gut bei den Wählern an?

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Quelle: https://www.facebook.com/BerlinClubMemes

Im Grunde macht auch die Trump-Kampagne einerseits nur das, was alle amerikanischen Kampagnen tun und nutzt die detailierten Wählerdaten, die in den USA offen zur Verfügung stehen. Ganz übersichtlich aufbereitet ist das hier im Blog von Mario Voigt. Cambridge Analytica nutzt darüber hinaus Facebook genau so, wie Facebook gedacht ist, nur eben ohne explizite Zustimmung Facebooks. Die Antwort auf die Frage “wie konnte Trump bloß passieren” liegt daher eher nicht in der Leistung von Cambridge Analytica. Bzw. wenn doch, dann nicht in der evolutionären Datennutzung, sondern eher in den Campaigning-Skills. Im sehr sehenswerten The Guardian Interview mit dem “Whistleblower” erfährt man darüber eher zwischen den Zeilen mehr. Der stylische Kerl sagt sinngemäß: wenn man Politik ändern will, muss man zunächst Kultur ändern und über die neue Kultur dann die Menschen mit neuen Angeboten adressieren. Dass er das im Alleingang gemacht hätte, ergibt eine schicke Headline und schadet sicher auch nicht der Karriere als Post-Whistleblower. Sicher ist: Kultur muss sich jedenfalls ändern, damit sich politische Großwetterlagen ändern – zumindest war das bisher meist so. Ob das in einer einizgen (Trump-)Kampagne gelingen kann, sei mal dahin gestellt. Es ist jedenfalls zu einfach im Presse-Skandalmodus jetzt nur die Wähler als die Betrogenen zu verniedlichen. Der Kulturwandel, der Trump möglich macht, geht nicht vor allem von Trump und seiner Kampagne aus, sondern von den Menschen und Wählern selbst, die ihn und seine Botschaften hören wollen.

Sprachlich-rational ist out

Was die bedeutenden (westlichen) Wahlen der letzten Jahre gemeinsam haben, ist der Schwenk weg von sprachlich-rationaler Logik – oder im prekären Paketdienstleisterdeutsch: hin zu „Post-Truth-Politics“ [hier ein lustiger, älter, bekannter Comic dazu].

Früher musste ein Argument – zum Beispiel ein politisches Argument – den Stempel „rational“ tragen, um zu gelten. Heute genügt es, wenn es sich „richtig anfühlt“. Soweit steht das seit 2016 in jedem zweiten SPIEGEL. Aber kaum ein Journalist nimmt die “Einordnungsfunktion” des Journalismus ernst und ordnet diese Feststellung ein. Denn dafür hat ja nicht Cambridge Analytica gesorgt.

„Rational“ bzw. „sprachlich-rational“ zu argumentieren bedeutet: „Dein (politisches) Argument ist nur zulässig, wenn es folgenden rationalen Kriterien und Paradigmen entsprich: XYZ“. Man könnte das auch (stark verkürzt) „Logik“ nennen. Aber man muss dabei im Blick behalten, dass „Logik“ nicht das gleiche bedeutet wie „Wahrheit“. „Logik“ ist eher so etwas wie Mathematik. Sie ist zwar ein in sich geschlossenes System der „Begründung“, sie ist aber menschengemacht und könnte genau so gut anders gemacht sein. Das Problem bei der Logik ist (bzw. war), dass man immer die Frage nach dem „Warum?“ stellen kann. Für eine politische Diskussion bedeutet das zum Beispiel: „Warum ist es wichtig, dass die Steuern gesenkt werden?“ – Antwort – „Warum ist es wichtig, dass die Menschen mehr im Geldbeutel haben?“ – Antwort – „Warum ist es wichtig, dass es Konsum gibt?“ – Antwort –  Etc…

Ideologie ohne Paradigmen löst sich auf

Weil sprachlich-rationales Argumentieren selbst auf dem Höhepunkt der sprachlich-rationalen „Logik“ (das war wohl irgendwann im 20. Jahrhundert) immer eine Endlosspirale gewesen wäre (wenn man es ernst gemeint hätte), war sprachlich-rationale Logik um im Alltag zu funktionieren immer angewiesen auf Paradigmen. Solche Paradigmen konnten zum Beispiel sein: „Patriotismus“, „Gerechtigkeit“ oder „Menschenrechte“. Konnte ein Politiker dem anderen argumentativ beweisen, dass er gegen diese Paradigmen verstieß, hatte der ein Problem. Konnte ein Politiker seine Forderungen „logisch“ bis zu einem Paradigma „argumentieren“, war er „in Sicherheit“. Wenn sich zwei Paradigmen widersprachen, wie beispielsweise „Leistungsgerechtigkeit“ versus „Verteilungsgerechtigkeit“, dann entstanden daraus manchmal zwei stabile Ideologien, vielleicht sogar Parteien – eben weil beide bis zu einem Paradigma argumentieren konnten und im Grunde im Widerspruch unangreifbar waren. „Wir brauchen niedrige Steuern, denn wer hart arbeitet, der soll mehr behalten“ vs. „Wir brauchen höhere Steuern, denn die Reichen müssen den Armen helfen“ war quasi eine Pattsituation. Und weil diese Paradigmen nicht zu überwinden waren, waren diese Parteien dann auch jahrzehntelang stabil. Als Linker mit Rechten zu streiten war schwer, weil der Grundkonsens fehlte. Man war Links oder Recht und nur in der Mitte gab es einen kleinen neutralen Bereich in dem ein Lagerwechsel überhaupt denkbar schien. Im Grunde funktionierte ein Machtwechsel in den meisten Fällen überhaupt nur über einen langwierigen Gesellschaftswandel (oder “Kulturwandel”). Und damit sind wir wieder beim Thema. Denn dann wurde alles anders: Seit den 80er-Jahren erlebten wir in der Theorie die Cultural Studies, den Konstruktivismus und ganz lebensweltlich die „Spät-„ oder „Post-Moderne“ und 9.11. Sie brachten die sprachlich-rationale Logik ins Wanken. Wahrheit und “Medienwirklichkeit”? Was ist das? Ist es vielleicht auch eine „Ordnung der Mächtigen“? Ist nicht alles subjektiv? Muss eine „Wahrnehmung“ der Welt (zum Beispiel die eines unterprivilegierten, weniger gebildeten Arbeiterkindes, das auf keine teure Schule ging) nicht genau so viel Wert sein, selbst wenn man sie weniger gut sprachlich-rational argumentieren kann, als ein Eliten-Sohn? Stark verkürzt (und ohne darauf hier im Detail einzugehen): dieser Kulturwandel weg vom Sprachlich-Rationalen, ist der Grund warum man heute als “Systempartei” einen immer schwereren Stand hat und die meisten Aufsteiger der letzten Jahre “gegen das System” antreten und warum sie das selten mit Argumenten tun. Das ist der Wandel der Trump möglich gemacht hat und nicht fünf Postings von Cambridge Analytica.

Es geht weniger ums Targeting sondern um eine neue Art der Ansprache

Die Tagesschau, die Gymnasiallehrer und auch die breite akademisch gebildete Mittelschicht haben es noch nicht ganz verstanden, aber die alten Paradigmen sind nicht mehr „Goldstandard“ auf dem sich jedes politische Gespräch begründet. Ein Streit gegen die AfD läuft allerdings immer noch nach dem sprachlich-rationalen Schema ab („was ihr sagt, ist doch unrealistisch, weil YYY“, oder “was ihr sagt verstößt gegen ZZZ”). Gleichzeitig holen sich selbst brav-linke Mittelschichtenkids ihre Information lieber von „Jung und Naiv“. Weil Tilo Jung so schön zuspitzt und rationale Beschränkungen einfach weniger akzeptiert. Sie wollen die (politische) Welt offensichtlich nicht mehr sprachlich-rational erfahren, wenn sie nicht auf Seiten der AfD oder der Partei die Linke stehen wollen, müssen sie aber so tun als ob. Denn “die guten Menschen” müssen rational argumentieren, das ist immer noch ein moralisches Gesetz auch wenn es ein veraltetes Gesetz ist. Daher finden diese Kids die Tagesschau nach wie vor wichtig, wenn man sie das in Umfragen fragt. Sie sehen sie trotzdem immer seltener, weil sie schlicht aus dem sprachlich-rationalen Bericht immer weniger Sinn und Sinnlichkeit ziehen. Und weil ihnen die offensichtlichen Paradigmen dieser Berichte immer häufiger übel aufstoßen (und mit “Kids” sind in diesem Zusammenhang durchaus auch noch 50-Jährige und der Schritt von Tilo Jung zu irgendwelchen “Fake-News-Blogs” von Cambridge Analytica ist auch nur noch ein “analytischer”).

Politische Orientierung bestehen heute (wie alle anderen Identitäten auch) oft aus Bruchstücken. Während man früher ein „sinnerfülltes“ Leben durch „Links-sein“ oder „Arbeiter sein“, bzw. durch „Mitte-sein“ oder „Bürgerlich-sein“, etc. leben konnte, ist man heute Veganer, Iphone-User, Trudeau-Fan, in einem, während ein anderer Trudeau-Fan, Öl-frackender Industriellensohn und Instagram-Influencer sein kann. Oder man schwankt stark zwischen Links-Partei und AfD aus vielfältigen Gründen die zwar nicht mehr „sprachlich-rational“ sind aber trotzdem komplexer als bloße „Dummheit“. [Hier ein Anriss dazu]. Um das Anschließen an diese Bruchstücke geht es beim Micro-Targeting. Ohne den richtigen Inhalt ist aber alles Targeting nichts und der Inhalt darf eben nicht mehr nur “rational” daher kommen.
Jede Kickstarter-Kampagne berücksichtigt heute, dass Menschen in einer reizüberfluteten Welt auch “sinnlich” urteilen und auch der Cambridge “Whistleblower” hat es verstanden und bietet entprechende Versatzstücke mit seiner Contentproduktion. Nur in Deutschland hat das keine der politischen Altparteien kapiert, bzw. ist es in Deutschland auch datenschutzrechtlich schwer wie in den USA umsetzbar. Der Witz ist allerdings: Selbst wenn der Datenschutz in Europa das gleiche Micro-Targeting wie in den USA zuließe, würde es den Parteien mit ihren derzeitigen Programmen und Personen nicht viel Nutzen. Ein langweiliges Rentenversprechen, nur ausgespielt an Rentner, und ein Kindergeldversprechen, nur an Eltern, erlauben zwar einen effizientern Einsatz des Mediageldes, berücksichtigen aber zu 0% den relevanten Kulturwandel im Messaging.

Was war zuerst da, Cambridge Analytica oder die Fragmentierung der Gesellschaft?

Es ist eine klassische Henne-Ei-Frage. Machen Typen wie Cambridge Analytica die Gesellschaft “irrational”, oder war die Gesellschaft schon irrational und Cambridge reagiert nur? Und die Antwort ist auch genauso klar wie die auf die Henne-Ei-Frage. Cambridge Analytica hat Facebook ja nicht erfunden, sondern nur genutzt – und zwar so wie es angelegt war in seiner inneren Logik der sinnlich-narrativen Content-Häppchen. Anders liese sich heute überhaupt kein “sinnvoller” Wahlkampf mehr führen. “Sinnvoll”heißt in diesem Zusammenhang: ein Wahlkampf der für die Menschen “Sinn” ergibt.
Weil die alten „Paradigmen“ keine Orientierung mehr geben, hat der Weg weg vom „rational-faktischen“ und den bürgerlichen Ideologien eine Lücke bei der Wiedererkennbarkeit von politischen Ideologien hinterlassen. Wenn die Wähler sagen „wofür steht ihr Parteien eigentlich noch?“ sind die Parteien zu Recht verwirrt. Nicht den Parteien, sondern den Menschen sind die Wörterbücher und Schablonen abhanden gekommen um politische Kommunikation einzuordnen, und zwar immer dann wenn diese Kommunikation nur mit „rationalen Argumenten“ daher kommt. Ideologie als „Kitt“ und Grundkonsens für das Branding von Politik fällt weg. Heute gibt es „die Rationalen“ und „die Anderen“ (oder „die Mitte“ vs. „die Populisten“). Es ist dabei keine Frage der „Haltung“ mehr auf der Seite der „Rationalen“ zu stehen, sondern einfach nur ein Zeichen dass man nicht in der Gegenwart angekommen ist. [Es ist deshalb trotzdem weder notwendig ein „Populist“ zu werden, noch ist es angemessen altbackene pseudo-rationale Forderungen nach „mehr Kindergeld“ oder „früheren Renteneintrittsalter“ als aufrichtige Sachpolitik zu framen]. Nach der Wahrheit wird alles besser.