Virtuelle Waschmittel

Kommunikation in plain Deutsch Teil 1

Ok, mal ganz einfach gedacht: Wenn ich will, dass “Waschi” das meist verkaufte Wachmittel Mittel- und Osteuropas wird, oder Karli der nächste Bundeskanzler, warum reicht es dann eigentlich nicht mehr aus, im Fernsehen mit viel Geld die Botschaft von “Waschis Sauberkraft”, oder “Karlis verantwortungsvollem Verantwortungsbewsstsein” rotieren zu lassen?

Stimmt, da ist ja dieser Medienwandel von dem alle reden. Aber warum ist der eigentlich da?

Medialität und massenmediale Kommunikation haben sich nicht so entwickelt, wie noch zur Jahrtausendwende prognostiziert. Kinder- und Jugendliche haben sich nicht in den Alter Egos ihrer Action-Shooter verloren. Sie haben dort nicht soziale Beziehungen und Sex durch Pixel substituiert, im Cyberspace ist Ende der 90er niemand verloren gegangen – zumindest waren es nicht mehr Menschen, als in den 70ern durch Kiffen verloren gingen.

Wahrscheinlich ist die Ursache dieser Fehleinschätzungen, dass den in den 90ern verwendeten sozialwissenschaftlichen Begriffen unpassende Annahmen zugrunde lagen. Der Trennung von “virtueller” und “echter” Welt, von der damals alle sprachen, die gab es vermutlich in der Form vermutlich nie. Genau so, wie die Trennungen zwischen “realem Erleben” vs.” narrativer Erfahrung”, oder “informativer Nachricht” vs. “Unterhaltungsformat”, immer schon analytische Trennungen waren. Was wir erleben, das erleben wir. Der Nervenkitzel beim Computerspielen ist der gleiche wie beim Bungee-Jumpen, Cybermobbing ist genau so schmerzhaft wie Mobbing auf dem Schulhof. Warum dann diese naiven Untescheidungen?

Im 20.Jahrhundert konnte man mit diesen Begriffen noch ziemlich gut die Rolle der Tagesschau für die Gesellschaft erklären. Die Rolle von Quake3 lässt sich damit aber nicht beschreiben und bestimmt nicht die Funktion von Facebook, Instagram, Google, etc.

Die gleichen Professoren, die heute noch in ihren kommunikationswissenschaftlichen Vorlesungen amüsiert berichten, wie bis ins 18.Jahrhundert hinein die Angst vor der “Zeitungssucht” umgegangen sei ( Tenor: “Haha, die feudal geprägte Gesellschaft hat damals die Logik bürgerlicher Öffentlichkeit gar nicht verstanden und den Wandel versucht mit der Logik der höfischen Representation zu beschreiben”) versuchten bis zuletzt die Kommunikations- und Sinnbedürfnisse der (digitalisierten) Netzwerkgesellschaft in der Logik der (analogen) bürgerlichen Öffentlichkeit zu erklären. Die Frage ob Social Media vielleicht gar keine Tools der bürgerlichen Öffentlichkeit mehr sind, sondern Werkzeuge einer andere Form der “Öffentlichkeit” (oder einer “neuen Gesellschaft”), haben sie sich nicht gestellt.

Eigentlich hätte man es auch in den 90ern schon besser wissen können. So meinte beispielsweise Jean Baudrillard mit seinem Konzept der Hyperrealität und seinem Begriff der Virtualität nicht, dass die Menschen in die Virtualität des Computers hinübergehen, sondern evtl. eher, dass die Virtualität in den medialen Alltag eindringt.

„Wir erleben nicht mehr das Drama der Entfremdung, wir erleben den Extase der Kommunikation“ (Jean Baudrillard, 1994: Das Andere Selbst. Passagen Verlag, Wien, S.18).

Die Lebenswelt wurde immer abstrakter. Die Repräsentation der Welt in kommunikativer Praxis (in den digitalen Medien) immer Realer. Wenn die Simulation irgendwann realer wird als die Realität, sprechen wir von Hyperrealität. Wenn die Menschen mehr Angst vor Terror oder Migration haben, also vor Autounfällen und Alkohol, bedeutet das dann, dass die Menschen “blöder” werden? Nein, es bedeutet, dass die vor allem aus den Medien bekannten Phänemene von “Terror oder Migration” realer werden. Es bedeutet nicht, dass wir in die Virtualität hinein gehen, sondern, dass die Virtualität in unsere Welt geht. “Virtualität” bedeutet in diesem Sinne eben gerade nicht, dass unser Leben immer mehr wie das von Keanu Reeves in Matrix wird, wir an Schläuchen hängen und die physische Welt kognitiv verlassen. Irgendwann um die 90er-Jahre machte immer mehr Realität einfach immer weniger “Sinn”. Erfolgreicher Ingenieur im rationalistischen “Westen” zu sein (im Vergleich zur scheinbar menschenuntauglichen Utopie des Ost-Blocks) war nach dem Zusammenbruch der bürgerlichen Ideologien schlicht zu wenig “erfüllend” um einem Leben “Sinn” zu geben. Stattdessen bastelte man zumindest ein Fanzine und studierte besser irgendwas “Kreatives”.

Nun entsteht “Sinn” in Gesellschaften fast immer durch Kommunikation. Die bürgerliche Öffentlichkeit aber braucht dafür weder Virtualisierung, noch Social Media, oder Interaktivität. Wenn Interaktivität und die Praktiken kommunikativer Vergesellschaftung via Social Media nicht mehr in den Begriff “bürgerliche Öffentlichkeit” hinein passen, dann ist dieser Begriff nicht mehr sinnvoll um den Status Quo zu beschreiben. Das was nach der bürgerlichen Öffentlichkeit kommt, das jedoch braucht offenbar eben diese neuen Kommunikationsmechanismen zur Sinnbildung. Wir leben also in einem Zustand “nach der bürgerlichen Öffentlichkeit”.

“Sinn” ist dabei kein neuer Begriff, sondern nur ein Schritt zurück in eine allgemeinere Beschreibung von Kommunikation. Eben weil der präzisere Begriff “bürgerliche Öffentlichkeit” nicht mehr funktioniert, muss dieser Schritt zurück zum allgemeineren Begriff gegangen werden. Was macht dieser “Sinn”? Warum ist er der richtige Ort ist um die Entwicklung von Kommunikation zu beschreiben? Sinnorientierungen manifestiert sich nach Siegfried J. Schmidt in Wirklichkeitsmodellen, also in Konzepten mit denen wir die soziale Welt täglich einordnen und bewerten. Das was “Sinn” macht, definiert das was “Wahrheit” sein darf und ist das, was wir für ein geglücktes Leben anstreben. Wirklichkeitsmodelle bieten Muster an, anhand derer wir über die Umweltphänomene, die uns begegnen urteilen können (vgl. Siegfried J. Schmidt, 2004: Unternehmenskultur. S.167). Was wir in Social Media, interaktiver und virtualisierter (Selbst)darstellung tun: Wir bauen Wirklichkeitsmodelle und verteidigen sie.

Der Sinn, den unsere Wahrheitsmodelle beinhalten, ist die Grundlage für unsere Meinungen und Urteile – beispielsweise für politische Überzeugungen. Wenn sich dieser Sinn auf virtuellere, individuellere oder ambivalentere Ziele richtet und nicht mehr nur auf einfache Ideologien, dann hat das tiefergreifende Implikationen für die demokratische Meinungsbildung, dann ist plötzlich zum Beispiel die demokratische Meinungsbildung auf Basis politischer Ideologien (wie Links, Rechts, Rot, Grün) ansich keine sinnstiftende kommunikative Dimension mehr. Sinn liegt auf einer basaleren Ebene als normative Werte wie “Demokratie”. Man ist also eher für bürgerliche stabile Demokratie (SPD, CDU, Grüne, you name it) oder dagegen (FPÖ, AfD, Rechtspopulismus, etc.).

Sinn hat also eine individuelle, aber vor allem auch eine politische, stark gesellschaftsstrukturierende, Funktion. Das Ende des Dramas der Entfremdung (wie bei Max Frisch Homo Faber von 1957) als dem leitendem Sinnproblem der Moderne und die Extase der Kommunikation (wie bei Leif Randts Leuchtspielhaus von 2009) als Leitproblem der Postmoderne, hat für Baudrillard eine andere Ursache als Computerspiele und virtuelle Irak-Kriegsberichterstattung. Beide Beispiele sind eher Symptom der Entwicklung, sicher nicht ihre Ursache.

„So verhält es sich mit dem Raum des Privaten. Sein Verschwinden vollzieht sich gleichzeitig mit dem des öffentlichen Raums. Der eine ist kein Schauspiel mehr, der andere kein Geheimnis.“ (Jean Baudrillard, 1994: Das Andere Selbst. Passagen Verlag, Wien,S.17)

Die Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre löst sich ebenso auf und sie tut das in komplexeren Formen als dem Konstrukt der Cyberrealität (vgl. z.B. Bruno Latour, 2002: Iconoclash. Oder: Gibt es eine Welt jenseits des Bilderkriegs. Merve, Berlin.)
Allein die Symptome zu akzeptieren macht die Arbeit mit Kommunikation schon ein ganzes Eck einfacher und erfolgversprechender, über die Ursachen nachzudenken ist dafür noch gar nicht unbedingt erforderlich. Darum, also klappt das alles nicht mehr so mit dem verkaufen von Waschi dem Waschmittel und Karli dem Politiker auf die immer gleiche massenmedial normierte Art: Es stiftet schlicht keinen Sinn mehr. Schließt sich die Frage an: was macht dann Sinn? Bzw. wie bekommen wir es wieder hin, dass Waschi und Karli Sinn machen?

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