Wenn wir Wähler wüssten, was wir wissen…

Schau dich auf der Straße um: Gut die Hälfte der Menschen um dich herum macht von ihrem Wahlrecht gebrauch. Darunter wählt jeder vierte eine Partei, die wechselweise aus dem Programm der NSDAP „zitiert“, oder Kriegsflüchtlinge beschimpft. Ein Viertel der österreichischen Wählerinnen und Wähler bewegt sich damit klar außerhalb des Spektrums klassisch bildungsbürgerlicher Wertvorstellungen wie „Menschenrechte“, bzw. außerhalb dessen, was seit dem Ende des zweiten Weltkriegs gemeinhin als „demokratisch“ akzeptiert wird. Das ist schade. Vielleicht wäre es vermeidbar gewesen. Jetzt ist es Fakt. Was jeder vierte wählt, lässt sich kaum noch für demokratisch unzulässig erklären.

Die Parteien werfen sich gegenseitig vor, mit den Un-Demokraten zu paktieren und die Presse „reflektiert“ mit dem intellektuellen Tiefgang des Sportministers Klug diesen Missstand. Doch einen Cordon Sanitaire aufrecht zu erhalten, das geht nur für eine gewissen Zeit – nicht für über ein viertel Jahrhundert. Schon seit Jahren profitieren die Beliebtheitswerte von HC Strache und Armin Wolf symbiotisch voneinander. Sie gewinnen mit jedem der zahllosen Interview-Auftritte Straches in der ZiB2. Wolf-Fans applaudieren „dem Wolf“ für seine harte Linie. Strachewähler sehen sich selbst durch „die Medien“ härter angegangen als den Rest und in Strache einen unbeugsamen Vorkämpfer – alle profitieren. Es ist daher auch ein Zeichen der Hilflosigkeit die „Schuld“ an der FPÖ jetzt bei burgenländischen SPÖlern oder den steirer ÖVPlern zu suchen. Es ist fern jeder medial-politischen Alltagsrealität. Abzüglich der FPÖ wäre die Opposition im Parlament ziemlich klein und kaum noch arbeitsfähig. Nur die FPÖ bildet im Bund, oder bspws. in Wien, eine relevante Opposition. Keine FPÖ, kein Hypo-U-Ausschuss – zB. Man kann sich bequem über diesen Zustand echauffieren, denn man kann ja nichts dafür – als einzelner Bürger (oder als einzelner Aufklärerjournalist der allabendlich – naja – „aufklärt“ !?).

Viel interessanter als diese zyklische aber eigentlich symbiotische Empörung ist, woran wir interessanterweise kaum zweifeln und womit wir selten hadern: Die Qualität unserer eigenen Wahlentscheidungen. Ja, wir wählen das kleinste Übel und hadern mit dem schwachen Angebot. Aber die Entscheidung die wir dann innerhalb dieses Angebots treffen kommt uns jedes Mal wieder recht sicher als die bestmögliche vor. Was ich aus meiner relativ kurzen Zeit im Bundestag und meiner relativ langen Zeit im Nationalrat mitnehmen werde, ist das Bewusstsein: Wir Wähler haben überhaupt keine Ahnung.
Persönliches Beispiel: Das Kabinett Schröder II wurde 2005 von maßlos enttäuschten Bürgern abgewählt. Mit der Agenda 2010 – die heute gemeinhin als Rettung der deutschen Wirtschaft gilt und damals von Medien und Bürgern als Hochverrat an jeglichem Gefühl für Gemeinschaft durch einen arroganten, abgehobenen Machtmayer galt – hatte sich Rot-Grün endgültig ins Aus geschossen. In den Jahren davor hatte sich Deutschland – erstmals seit Hitler – wieder direkt an Kriegen beteiligt – die heute als absolut selbstverständliche humanitäre Rettungseinsätze gelten würden. Ich war genauso enttäuscht wie alle. Die Joschkas und Schilys hatten ihre Prinzipien verraten. Die Grünen nichts außer einen reversiblen Atomausstieg hinbekommen. Die „acht Punkte“ die Grün im Wahlkampf 2002 umzusetzen versprach, wenn sie bei der Wiederwahl „acht Prozent“ bekämen, hatte ich in Flyerform aufgehoben – sie waren allesamt bei der Neuwahl 2005 noch nicht umgesetzt. Und direkt nach ihrer Abwahl drückte mir „meine“ grüne Partei in der Fußgängerzone ein neues Konzept in die Hand. Sinngemäß wollten sie jedem Bürger zum 18. Geburtstag einen hohen fünfstelligen Betrag gutschreiben (ich glaube es waren 60.000 Euro). Im Gegenzug sollten Ausbildung, Studium, etc. allesamt kostenpflichtig werden. Die 18 –Jährigen sollten sich entscheiden: Unternehmen gründen, studieren, oder 3er BMW kaufen -> Freiheit, Eigenverantwortung, Autonomie. Ich war tödlich beleidigt. Erst 7 Jahre lang nichts tun und dann mit derart schicken Grundsatzkonzepten kommen – welche Beleidigung meiner Intelligenz als Wähler.
Heute würde ich schätzen: Die Grünen waren selbst enttäuscht von ihrer Regierungsbeteiligung. Ihnen war nur zum Teil klar wie erstaunlich viel sie umgesetzt hatten. Sie haben selbst nicht bedacht, dass wir nicht mehr in einer Zeit leben, in der wir keine U-Bahnen oder Kanalisationen mehr in Großstädte bauen, sondern höchstens einzelne U-Bahnlinien über Jahrzehnte planen. Sie hatten noch nicht realisisiert, dass wir in eine Zeit eingetreten waren, in der über jedes größere Projekt wie einen Flughafen, einen Bahnhof, oder eine Fußgängerzone eine Regierung stürzt. Die Grünen wollten daher wieder utopischer werden. Sie wollten noch größer denken, um sich zurück in die Wählergunst zu arbeiten. Und ich als mündiger, akademischer und hochbegabter werbekritischer Wähler tat, was die meisten meiner Mitbürger taten – ich honorierte das Bemühen nicht, weil es nicht professionell und konsistent beworben wurde. Heute sind die Grünen in Deutschland ein Schatten ihrer selbst. Für die rot-grünen Reformen wurde die SPÖ nahezu marginalisiert und die Grünen gingen in Opposition. In Österreich stehen sie bei bis zu 15% was es ihnen mittlerweile verunmöglicht in Regionalwahlkämpfen noch offen über Migration zu sprechen. Tun sie das, weil sie schlechte Menschen geworden sind? Würden wir es anders machen? Ja, im Moment sicher – aber auch noch nach 20 Jahren in der Politik?

Ein anderes Beispiel: 2011 im Bundestag sagte Wolfgang Schäuble in der CDS/CSU Fraktionssitzung (an der wir Praktikanten teilnehmen durften) seinen Abgeordneten, dass er ehrlich gesagt keine Ahnung habe wie es mit Griechenland weiter gehe. Wie sich die Spekulationen gegen den Euro entwickeln würden, sei für ihn kaum zu prognostizieren, er bitte aber alle – auch die CSU-Abgeordneten – für die ESFS Gelder zu stimmen, selbst wenn das ESFS-System erst mit der Funktionsfähigkeit des ESM “krisensicher” sei. Die Entscheidung sei also unsicher, aber man müsse sich Zeit erkaufen, damit der Laden nicht in die Luft fliege. So jedenfalls erinnere ich mich lückenhaft daran. Der springende Punkt ist:
Wir als Wähler glauben eine fundierte Wahlentscheidung über die besten Lösungen für den Euro treffen zu können, auf Basis der Informationen, die wir Medien entnehmen, die wiederum oft genug nicht einmal eine grobe Ahnung davon haben, wie parlamentarische Abläufe funktionieren und die lieber wieder eine HC-Strache-Show veranstalten, als sich mit komplexen Themen zu beschäftigen. Woher nehmen wir Wähler also eigentlich die Gewissheit zu wissen ob CDU oder SPÖ die Griechenlandkrise besser schaukeln könnten? Ich weiß ja nichtmal als im Nationalrat Arbeitender wie die Grünen im Detail zum neuen Urheberrechtsgesetz stehen (und ob sie überhaupt stehen). Als Wähler bestrafen wir politische Partei für zu viel, oder zu wenig Konsistenz im Auftreten, für zu viel oder zu wenig klare Parteilinie, aber sicher nicht für Inhalte (den von denen haben wir wenig Ahnung). Aber jetzt die gute Nachricht: Wähler, wir sind natürlich nicht selbst schuld. Schuld ist – wie immer, der Medienwandel, mit dem wir uns alle immer noch ziemlich schwer tun. Mündige Wähler, das wären Wähler die wüssten was sie wissen und was sie nicht wissen. Die wissen, dass die Politiker auch nicht viel mehr wissen und auf Basis des Nichtwissens einfach mal einen Wahlentscheidung treffen, weil so eben die Demokratie funktioiert. Aber diese bürgerliche Idee von der fundierten Wahlentscheidung? Die funktioniert in dieser Form wirklich nicht mehr…